Impfung von Kindern und Jugendlichen. Wie entscheiden?
Thüringen beschäftigt sich intensiv mit dem Impfthema für Kinder und Jugendliche. Im Juni 2021 fand ein Kinder-Impfgipfel zur Vorbereitung statt. Kurz danach begann am Gymnasium Meiningen ein Pilotprojekt, um speziell Informationen für Jugendliche zu erarbeiten.
Auf dieser Seite finden Sie weiter Stimmen zu dem Thema: Was sagt eine Kommunikationsforscherin? Was sagt ein Kinderarzt? Warum kümmert sich ein Schulleiter um das Thema? Was denkt der Bildungsminister?
Die Texte, die Sie hier finden, sollen der Information dienen, denn die Entscheidung zur Impfung trifft jede Familie selbst.
Update: Am 16. August 2021 hat die Ständige Impfkommission (Stiko) eine Anpassung ihrer Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren angekündigt. Die Texte auf dieser Seite beziehen sich noch auf den nun überholten Stand vom Juli 2021.
Wichtige Informationsquellen
„Für die Schule ist es gut, wenn viele Kinder geimpft sind“
Olaf Petschauer, Schulleiter des Henfling-Gymnasiums Meiningen
TMBJS: Sie haben am Thüringer Kinder-Impfgipfel teilgenommen, und Sie führen nun mit der Uni Erfurt ein Pilotprojekt zum Thema Corona-Impfungen an Ihrer Schule durch. Was motiviert Sie als Schulleiter, sich bei dem Thema zu engagieren?
Petschauer: Ich denke oft strategisch über viele Dinge nach. Denn ich möchte Entwicklungen und Probleme rechtzeitig erkennen, die nach einer Lösung suchen. Das Thema, wie das neue Schuljahr anlaufen soll und was mit Impfungen für Kinder ist, hat mich einfach umgetrieben, sobald klar war, dass es den Biontech-Impfstoff für Kinder geben würde. Ich habe zurückgerechnet und gesehen, dass man zeitig anfangen muss, wenn man Kinder rechtzeitig impfen will. Deshalb war ich dann auch beim Thüringer Kinder-Impfgipfel dabei, der ja das gleiche Ziel hatte.
Mein oberstes Ziel: Die Schüler in die Schule holen.
Welche Befürchtungen haben Sie mit Blick auf das neue Schuljahr?
Petschauer: Derzeit haben wir sehr niedrige Infektionszahlen. Es sieht gut aus. Aber trotzdem kann sich, wenn es im Herbst wieder eine andere Entwicklung geben sollte, die Frage stellen, wie wir mit Schule weitermachen. Nach den Erfahrungen der letzten anderthalb Jahre ist mein oberstes Ziel, die Schüler in die Schule zu holen. Entwicklungspsychologisch ist das entscheidend. Die Kinder tragen Schäden davon, weil in ihrer Entwicklung Sozialkontakte, Führung, Leitung, Begleitung und Anleitung fehlen. Ich möchte daher für das kommende Schuljahr Sicherheit und Beständigkeit.
Was muss dafür geschehen aus Ihrer Sicht?
Petschauer: Die Frage lautet: Wie können wir sicherstellen, dass Schule nicht zu einem Hotspot wird? Damit meine ich nicht, dass alle sich impfen lassen müssen. Beileibe nicht. Aber diejenigen, die das möchten, sollen ein schnelles und faires Angebot bekommen. So, wie es die Familien brauchen. Diese Perspektive müssen wir einnehmen. Es muss nicht jedes Kind geimpft sein, aber eine bestimmte Grundimmunität sollte da sein: eine stabile Situation, in der Unterricht an der Schule mit einem hohen Sicherheitsgrad durchgeführt werden kann.


Wie reagieren die Menschen an Ihrer Schule auf diese Gedanken?
Petschauer: Sehr unterschiedlich. Eltern und Schüler, die ansonsten ähnlich ticken und normalerweise ähnliche Ansichten haben, unterscheiden sich plötzlich ausgerechnet in dieser Frage sehr deutlich. Das sage ich ganz neutral, denn es geht überhaupt nicht darum, Menschen abzuwerten oder in ihren Ansichten zu entwerten. Wir respektieren die Haltungen der Menschen. Gleichzeitig geht es aber darum einzufordern: Bitte respektiert auch meine Rolle als Schulleiter. Dabei grenze ich auch meine persönliche Meinung klar ab. Es geht um meine Rolle als Schulleiter, und diese Rolle ist es, dafür zu sorgen, dass die Schülerinnen und Schüler die bestmögliche Bildung bekommen. Das geht nur, wenn wir es schaffen, Unterricht stabil anzubieten. Und deswegen bin ich natürlich bestrebt, dass möglichst viele sich impfen lassen. Gleichzeitig respektiere ich, wenn man aus welchen Gründen auch immer für sich persönlich eine andere Entscheidung trifft. Besonders wichtig ist mir, dass auch die Jugendlichen in dieser Debatte eine Stimme bekommen und sagen können, was sie darüber denken.
Gegenseitiger Respekt ist doch das wichtigste.
Wir erleben eine kontroverse Debatte. Hält Ihre Schule sie aus?
Petschauer: Ja, die Debatte ist kontrovers, aber sie ist auch von großem Respekt geprägt. Gegenseitig. Das ist doch das wichtigste. Wichtig ist auch, dass die Strukturen der Elternvertretung und der Schülervertretung funktionieren. Das ist bei uns der Fall. Im Grundsatz ist bei vielen aber eine positive Grundhaltung zum Impfen da. Und viele würden es auch gut finden, wenn wir gezielt einen Impftermin für die Schule bekommen.
Zurück zum Pilotprojekt selbst: Was genau ist Ihr Ansatz?
Petschauer: Zunächst einmal hatte ich den naheliegenden Gedanken, dass ja eines der Thüringer Impfzentren direkt an unserer Schule ist. Wir haben es in unserer Turnhalle, direkt vor der Nase, 20 Meter über die Straße. Wir haben die Infrastruktur und waren ein Landkreis mit einer hohen Inzidenz. Die Lehrer sind alle durchgeimpft. Das Thema ist also bei uns sehr präsent gewesen. Daher habe ich Minister Holter den Vorschlag gemacht: Wenn Sie etwas probieren wollen, dann an unserer Schule. Das hat er mitgenommen, und am Rande des Impfgipfels kam es dann konkret zum Kontakt zu Frau Prof. Betsch. Innerhalb weniger Minuten hatten wir eine Verabredung, dass wir so ein Pilotprojekt angehen wollen. So etwas macht man nur mit Leuten, von denen man weiß: Das funktioniert. Man kann entweder Dinge ermöglichen oder verhindern. Ich bin immer fürs Ermöglichen.
Beim Impfen muss sich auch die Schule kümmern.
Wie läuft das Projekt konkret?
Petschauer: Bevor ich das erläutere, möchte ich noch Eines klarstellen: Wir sind keine „Pilotschule Impfen“. Es handelt sich um eine Studie. Sie dient nicht dazu, Menschen zu bewegen, sich impfen zu lassen oder davon abzuhalten. Es geht um Aufklärung und um den Anstoß, wie es Minister Holter gesagt hat: ‚Setzen Sie sich mit dieser Frage auseinander.‘ Deshalb war Stufe eins eine Befragung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter unserer Eltern- und Schülerschaft. Dann gab es eine Auswertung. Dort hat man gesehen, was vor allem die Jugendlichen für Fragen haben. So wurde dann gezielt ein Informationsflyer erstellt. Man hat in der Befragung auch gesehen, dass eine Impfbereitschaft da ist, nicht bei allen, aber bei vielen. Und dafür werden nun auch zwei gezielte Impftermine angeboten, übrigens für alle Schulen in Meiningen. Im Herbst soll es dann noch einmal eine Befragung geben, um wissenschaftliche Schlussfolgerungen zu ziehen. Eine Frage, die sich für mich und auch für die Politik mit dem Projekt verbindet, ist grundsätzlich auch, wie eine Impfkampagne für Schulen laufen könnte, also ob Schule bei der Frage des Impfens überhaupt eine Rolle spielen soll. Müssen wir uns als Schule organisatorisch in irgendeiner Weise darum kümmern oder überlassen wir das ausschließlich der Privatsphäre der Eltern?
Für Ihre Schule haben Sie das ja schon entschieden. Sie haben gesagt: Eigentlich muss ich mich auch als Schule um das Thema kümmern.
Petschauer: Natürlich. Nun müssen wir sehen, ob andere das auch so sehen, und wir müssen die Erfahrungen unseres Projektes sauber auswerten.
Zurück zur eigentlichen Frage des Impfens: Wie sollen Eltern für oder gegen eine Impfung entscheiden?
Petschauer: Ich wechsele jetzt einmal in die Rolle als Vater. Meine Tochter ist 13 Jahre alt. Die Kinder können oft nicht verstehen, dass sich jemand nicht impfen lassen will. Sie wollen Freunde treffen, ins Schwimmbad gehen und dabei keine Angst haben müssen. Das ist für sie wichtig. Aber wie groß ist das Risiko. Diese Abwägung ist tatsächlich diesmal genau das Problem. Die Stiko kann aus ihrer Rolle heraus eine ausdrückliche Empfehlung nur aussprechen, wenn die Impfung ohne Vorbehalte zu empfehlen ist. Dafür gibt es noch keine ausreichende Basis. Aber wir müssen auch immer deutlich machen: Die Nicht-Empfehlung der Stiko ist keine Verweigerung der Stiko. Es heißt eben nicht, dass die Stiko Impfungen schlecht findet. Als Vater sage ich: Nichts ist ohne Risiko. Privat bin ich daher in einer Pro-Haltung, ja. Aber als Schulleiter habe ich den Respekt, dass Eltern auch andere Entscheidungen treffen.
Wenn jemand am 6. September in Ihre Schule kommt, fragen Sie dann, ob er oder sie geimpft ist?
Petschauer: Es wird bei uns keine Form der Stigmatisierung geben! Das haben wir in der Schulkonferenz ganz klar besprochen. Auch Lehrer, die das privat womöglich anders sehen, müssen eine professionelle Haltung haben: Es darf für den Unterricht selbst keine Rolle spielen, ob jemand geimpft ist. Davon unabhängig ist allerdings unsere ganz klare Überzeugung: Für die Schule ist es gut, wenn möglichst viele Kinder geimpft sind.

"Kinder und Jugendliche brauchen gute Informationen"
Prof. Cornelia Betsch, Professorin für Gesundheitskommunikation an der Uni Erfurt
Seit Beginn der Corona-Pandemie führt Prof. Dr. Betsch regelmäßige repräsentative Befragungen durch zu Wissen, Risikowahrnehmung, Schutzverhalten und Vertrauen in der Bevölkerung. Mit einem Team vom Communication Lab Erfurt führt sie seit Juni ein Pilotprojekt am Gymnasium Meiningen durch, um u.a. Informationen für Kinder und Jugendliche über die Covid-19-Schutzimpfung zu erstellen.
Frau Prof. Betsch, Sie haben in Meinigen etwas völlig Neues ausprobiert. Was haben Sie vor und warum?
Cornelia Betsch: Wir reden in der Pandemie viel über Impfung. Viele reden dabei auch über Kinder. Aber ganz wenige Leute reden mit den Kindern und Jugendlichen. Diese Lücke wollen wir füllen. Ausgangspunkt war das COVID-19 Snapshot Monitoring COSMO, in dem wir die Eltern gefragt haben: Was denken Eure Kinder eigentlich übers Impfen? Wir haben gesehen, dass sehr viele Eltern berichten, dass die Kinder impfbereit sind, aber sie selbst noch zögern. Das zeigt uns, dass es einen unglaublichen Redebedarf gibt. Und Kinder und Jugendliche haben selbst auch viele Fragen. Sie machen sich viele Gedanken um die Pandemie, und eine der Botschaften, die bei ihnen hängen bleibt, ist: Die Pandemie endet, wenn sich alle impfen lassen.
Es gibt also eine große Impfbereitschaft. Werden sich viele auch tatsächlich impfen lassen?
Betsch: Viele sind impfbereit, ja. Es gibt auch einen zugelassenen Impfstoff, aber noch keine allgemeine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO). Das verunsichert die Leute, denn die STIKO-Empfehlung ist ein wichtiger Wegweiser. Ohne allgemeine Empfehlung aber gibt es ein Vakuum. Da haben wir angesetzt. Wir haben nachgefragt: Was sind die brennenden Fragen? Welche Informationen benötigen die Leute?
Wir wollen Fragen erst nehmen und bei der Entscheidung unterstützen.
Mit welchem Ziel? Geht es um Überzeugungsarbeit für das Impfen?
Betsch: Wir wollen niemanden überreden. Wir wollen Fragen erst nehmen und bei einer informierten Entscheidung unterstützen. Wir sehen auch jetzt durch diese Befragung, die uns das Meininger Gymnasium ermöglicht hat, und durch die Eltern und Schüler*innen, die daran teilgenommen haben, dass das Impfen von Jugendlichen eine geteilte Entscheidung ist: Jugendliche entscheiden mit ihren Eltern gemeinsam. Für Eltern gibt es da ganz gute und viele Informationsquellen. Aber Jugendliche fallen da hinten runter. Wir wollten also als Resultat der Befragungen ein Informationsangebot besonders für Jugendliche schaffen.


Welche Fragen stellen sich Jugendliche?
Betsch: Es geht viel um die Sicherheit und um die Frage: Kann ich dann mehr soziale Kontakte haben? Wie kann man Gemeinschaftsschutz erreichen? Wie ist mein Beitrag zur Beendigung der Pandemie? Was ist für mich selbst der Nutzen? Wie hoch ist das Risiko bei einer Impfung?
Wie beantworten Sie diese Fragen?
Betsch: Das Team des Communication Lab Erfurt, das ist eine Ausgründung aus der Uni Erfurt, hat zusammen mit meinem Team die Antworten auf die Fragen der Jugendlichen herangeschafft, sich also mit vielen verschiedenen Expertinnen und Experten rückgekoppelt. Genforscher, Kommunikationsexperten, Behördenkolleginnen, Ärzte. Daraus ist der Flyer für Jugendliche entstanden. Er soll auch digital zur Verfügung stehen, sodass dass er dann für alle auch auf dem Tablet, dem Handy, usw. zur Verfügung steht. Dann kann man sich da informieren, wo man sowieso immer ist: im Internet.
Das heißt, die Zielgruppe sind eindeutig die Jugendlichen?
Betsch: Ja. Zuerst sind wir da offen rangegangen und haben überlegt, etwas für Eltern und Jugendliche zu machen. Dann haben wir aber gesehen, dass es vor allem bei den Jugendlichen einen sehr hohen Informationsbedarf gibt. Deswegen haben wir uns in der Gruppe mit allen Projektbeteiligten dafür entschieden, ein Angebot vor allem für Jugendliche zu machen.
Ist das etwas, das nur in Meiningen stattfindet, oder kann an den Ergebnissen Ihres Projektes jeder Thüringer Jugendliche teilhaben?
Betsch: Die Ergebnisse werden für alle nutzbar gemacht. Wir haben das Informationsmaterial aufbauend auf den Antworten der Meininger Schüler:innen entwickelt, und Meininger Schüler:innen befragen wir auch nochmal, ob der Flyer so passt. Die Schulen dort werden mit diesem Material als erste informiert. Und dann wird es einen Impftag extra für die weiterführenden Schulen im Meininger Impfzentrum geben, die gesondert eingeladen werden. Ob das Angebot für andere Schulen wiederholt wird, muss das Ministerium entscheiden. Die Information aber soll allen Schülerinnen und Schülern zu Gute kommen. Unsere Idee ist auch, den Flyer auch anderen Bundesländern und Behörden zur Verfügung zu stellen, sodass diese wertvolle Information, die von Jugendlichen selber dirigiert und zusammengestellt ist, so breit wie möglich verfügbar ist.
Sie stecken seit Beginn der Pandemie als Forscherin voll im Thema Corona. Sie schauen mit der COSMO-Studie dem Volk in die Gedanken. Welche Entwicklung nehmen Sie wahr in Bezug auf das Impfen? Sind wir heute weiter, wollen sich mehr Leute impfen lassen als früher, oder geht die Entwicklung eher in die andere Richtung?
Betsch: Noch beobachten wir einen steigenden Trend. Es sind sehr viele geimpft und viele wollen unbedingt. Wir gucken uns jetzt die an, die noch nicht geimpft sind. Da sehen wir, dass Vertrauen ein großes Thema ist. Da gibt es noch viele Fragen. Es wird oft gefragt, ist es überhaupt notwendig, es gibt doch keine Fälle mehr? Dann gibt es die Frage nach der vierten Welle. Kommt sie? Wie schlimm wird sie? Wie geht es mit Delta weiter und wie notwendig ist das ganze Pandemiemanagement eigentlich noch? Manche Leute sagen auch, dass sich die anderen impfen lassen sollen, dann müssten sie selbst ja nicht. Das Prinzip des Gemeinschaftsschutzes wird also verstanden, dann aber auf den Kopf gedreht.
Wichtig ist jetzt vorzubeugen und zwar unter den Erwachsenen.
Welche Schlussfolgerungen sollten gezogen werden?
Betsch: Es ist ganz wichtig, vor allem für Erwachsene eine Impfkampagne zu machen. Denn es ist ethisch unbedingt geboten, dass sich eher Erwachsene impfen lassen, weil für sie das Nutzen-Risiko-Verhältnis besonders gut ist. Sie haben ein höheres Risiko schwer zu erkranken, und dafür kann man auch Impfnebenwirkungen in Kauf nehmen. Das ist bei Kindern etwas anders. Sie erkranken allermeistens nicht schwer. Daher fällt die Abwägung vielleicht anders aus, ohne dass man deshalb von der Impfung abraten müsste. Wir müssen also zuerst alles dafür tun, dass Erwachsene gut informiert werden, um sich zu entscheiden. Es ist wichtig, dass das Vertrauen in die Impfung gestärkt wird und dass klar wird, warum es eigentlich notwendig ist, dass wir uns impfen. Es sollte nicht der Eindruck bestärkt werden: Wir warten mal, ob eine vierte Welle kommt, und dann kann man sich immer noch impfen lassen. Der Impfschutz baut sich langsam auf, das haben wir nun verstanden. Es braucht zwei Impfungen plus ein paar Wochen. Wenn wir alle im September, Oktober zum Impfen gehen, dann rauschen wir trotzdem in diese Welle rein. Wichtig ist also, jetzt vorzubeugen und zwar unter den Erwachsenen. Je mehr geimpft sind, umso mehr können wir Gemeinschaftsschutz aufbauen und auch unsere Kinder mitschützen. Selbst wenn sich alle ab 12 impfen lassen würden gäbe es immer noch viele Kinder unter 12, für die noch keine Impfung möglich ist und denen man durch eine hohe Impfquote eine Infektion ersparen kann.
Wie sollten Eltern mit ihren Kindern reden, wenn solche Fragen rund ums Impfen auftauchen? Wie geht man als Familie da ran, gerade vor dem Hintergrund, dass es eine schwierige Situation mit der STIKO-Empfehlung ist?
Betsch: Kinder und Eltern sagen: es ist eine gemeinsame Entscheidung. Das heißt auch, dass jeder etwas dazu beitragen darf. Wenn wir die Entscheidungsautonomie der Jugendlichen ernst nehmen, müssen wir sie auch mit den relevanten Informationen versorgen, damit sie in einer gemeinsamen Entscheidung auch gleichwertiger Partner sind und ihre Sichtweise einbringen können. Sonst sind sie auf das Hörensagen angewiesen und das ist manchmal nicht so ein guter Berater.
Gibt es denn Streit in den Familien?
Betsch: Bei denen, die an unserer Befragung teilgenommen haben, gib es eher selten Streit. Aber wenn es unterschiedliche Ansichten in der Familie gibt, ist es empfehlenswert, sich eine dritte Meinung zu holen. Man sollte versuchen, das zu Papier zu bringen und zu schauen: wo sind wir uns einig, wo haben wir noch Beratungsbedarf, wo sind wir komplett unterschiedlicher Meinung? Die vertrauenswürdigste Quelle dann ist meist der Arzt oder die Ärztin. Dort sollte man sich gemeinsam beraten lassen.
Gibt es auch Menschen, denen das Thema komplett egal ist?
Betsch: Ja. Wir sehen schon, dass der Anteil unter den Ungeimpften steigt, die sich fragen, ob es überhaupt noch notwendig ist. Wir wollen wieder normal leben und dass die Pandemie aufhört. Wir sind gerade an einem kritischen Punkt. Wir dürfen uns nicht verleiten lassen und denken, alles ist schon wieder so wie immer. Es liegt in unser aller Hände, dass es so bleibt und die Fälle weiter unten bleiben und dass sich die Delta-Variante nicht weiterverbreitet. Da ist Impfen sehr wichtig. Das gut klar zu machen, ist nun die Kunst.
Haben Sie in Ihrer COSMO-Studie Erkenntnisse über die Sicht von Familien insgesamt auf Schule in der Pandemie? Es ist klar, dass das Impfen nicht die Voraussetzung für Schule ist, aber trotzdem machen sich Eltern sicherlich Sorgen.
Betsch: Nicht nur Eltern. Die Sorge ist gesamtgesellschaftlich groß, dass die Kinder leiden oder schulisch Nachteile haben für ihr Leben. Die Zustimmung zu Schulschließungen variiert auch mit der Inzidenz. Wenn die Fallzahlen hochgehen, ist die Schulschließung auch akzeptierter. Aber das geht auch schnell wieder runter, sobald die Fallzahlen sinken. Es gibt ja auch aus anderen Studien viele Erkenntnisse, dass das Homeschooling den Lernfortschritt nicht zwingend befördert hat. Auch wenn die Schüler:innen da vielleicht andere wichtige Dinge gelernt haben, die sich vielleicht erst später zeigen werden, sollte man doch versuchen zu vermeiden, dass so eine Situation wieder eintritt. Im Herbst werden vielleicht einige in Schulen geimpft sein und andere nicht – das wird auch auszuhandeln sein, wie man da bei Ausbrüchen vorgeht.
Ob künftig Lockdowns vorüber sind, hängt vom Impfen ab.
Wie lange werden wir diese Herausforderungen und Debatten überhaupt noch haben?
Betsch: Das weiß, glaube ich, keiner. Aber dass Corona bleiben wird, dass wir uns dauerhaft werden impfen lassen müssen und dass das Coronavirus auch in Zukunft regional oder saisonal zirkulieren wird, ähnlich dem Grippevirus, da sind sich die Experten relativ einig. Grippe- u. Corona-Saison fallen dann vielleicht zusammen oder lösen sich ab. Was Lockdowns angeht, hoffe ich, dass es vorüber ist. Das hängt vom Impfen ab. In Thüringen haben wir leider nicht so eine gute Impfbereitschaft wie im Rest des Landes. Es hängt aber außerdem von der globalen Situation ab: Es gibt andere Länder, die bekommen viel zu wenig Impfstoff. Von dort kann es immer wieder eingetragen werden, mal abgesehen von dem Leid, das das Virus in den Länder vor Ort verursacht. Die Frage ist: Wann sind genug Menschen in allen Ländern geimpft, so dass das Virus kontrollierbarer ist und nicht so viel Schaden anrichtet?
Das heißt, die Herausforderung ist, den Leuten zu sagen, ja es ist Privatsache und die freie Entscheidung jedes Einzelnen, und trotzdem die Überzeugungsarbeit zu leisten, dass impfen wichtig ist?
Betsch: Das ist beim Impfen leider immer so. Impfen hat einen positiven Nutzen für einen selbst, aber eben auch für andere. Wenn ich geimpft bin, kann ich das Virus nicht oder nur selten weitergeben. Um Gemeinschaftsschutz zu erreichen braucht es immer einen bestimmten Anteil, bis eine Krankheit kontrollierbar ist. Deswegen gibt es auch ein gesellschaftliches Interesse daran, dass man sich impfen lässt, nicht nur ein privates. Impfen ist also gleichzeitig eine individuelle und eine soziale Entscheidung. Egal wie ich entscheide, es hat immer Auswirkungen auf andere. Jeder und jede darf trotzdem frei entscheiden. Wir sind also davon abhängig, dass sich möglichst viele freiwillig immunisieren. Deswegen brauchen wir sichere Impfstoffe, das Vertrauen in die Impfstoffe muss hoch sein, und es muss auch hoch sein in das System, das sie vermittelt – Regierungsvertrauen. Zu sagen: Leute, lasst euch impfen, aber ihr dürft es trotzdem selber entscheiden. Das ist ein Spagat, der äußerst schwierig ist.
Wir müssen die Risiken abwägen.
Und trotzdem muss man ihn machen.
Betsch: Ja. Keine Entscheidung, die wir im Leben treffen, ist ohne Risiko. Wir müssen die Risiken abwägen: das Risiko, krank zu werden, und das Risiko, das die Impfung mit sich bringt. Eines von beiden wird es werden – entweder die Impfung oder die Krankheit. Das sagen die Experten. Klar ist aber auch: Man trifft diese Entscheidung nicht nur für sich, sondern auch für andere, die man unter Umständen ansteckt. Bei der Flyer-Entwicklung für die Schüler:innen kam immer mal auf: es soll ausbalanciert sein. Es soll etwas dafür auf dem Flyer stehen und es soll etwas dagegen draufstehen. Wir nehmen die Entscheidungsfreiheit ernst und haben das umgesetzt. Im Ergebnis sind die Argumente dafür aber meines Erachtens sehr viel stärker. Aber entscheiden darf jeder selbst.

„Jeder muss für sich entscheiden“
Prof. Hans Proquitté, stellvertretender Leiter der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Jena
Prof. Hans Proquitté ist am Uniklinikum Jena verantwortlich für die Neonatologie und die Kinderintensivmedizin. Er ist außerdem 1. Vorsitzender der Sächsisch-Thüringischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin und Kinderchirurgie.
Herr Prof. Proquitté, wie ist die Situation beim Thema Kinderimpfen? Was geht medizinisch und was nicht?
Prof. Hans Proquitté: Gesetzlich ist eine Impfung ab 12 Jahre aufwärts möglich. Die kann man auch umsetzen. Schauen wir auf die ersten Familienimpftage in Thüringen im Juni, so wurden thüringenweit 5.000 Impfstoffe ausgegeben. Auch ein Arzt unseres Klinikums war an der Aktion beteiligt. Er berichtet, dass an diesen Tagen 70 Prozent Jugendliche oder Kinder waren. Das Angebot wird also genutzt. Es gibt aber derzeit keine Empfehlung von Seiten der Ständigen Impfkommission (STIKO). Ein Grund ist, dass Kinder in der Regel kein hohes Risiko haben. Wenn sie an Covid-19 erkranken, dann mild oder nicht klinisch relevant. Es gibt schwere Erkrankungen, das ist aber nicht vergleichbar mit den Erwachsenen. Die Zahlen liegen unter 1 %. Aus den Daten der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie geht hervor, dass 70 bis 75 Prozent der Kinder, die so schwer erkrankt sind, dass sie stationär aufgenommen werden mussten, unter 12 Jahren waren. Der Bereich 12 bis 16 oder 18 Jahren ist also wenig betroffen, und wenn, dann ist es in der Regel nicht besonders schlimm. Daher sagt die STIKO, die Krankheitsentitätslast ist für diese Kinder nicht besonders hoch.
Was bringt die Impfung den Kindern dann?
Proquitté: Der Nutzen der Impfung ist da. Das sagen die Daten aus Israel und die Vergleichsstudien, die bisher publiziert sind. Sie besagen, dass der Impfstoff gut verträglich ist. Kinderärzte müssen aber abwägen: Wie hoch ist die Krankheitslast für den, den ich impfen möchte. Und dann gibt es eben auch ein unbestimmtes Risiko, das wir derzeit nicht abschätzen können. Denn es ist ein neues Impfstoffverfahren, von dem wir nicht wissen, was in zehn, 15, 20 Jahren passiert. Wir gehen nicht davon aus, dass etwas passiert, aber wir wissen es nicht. Insofern finde ich es richtig, dass es noch keine generelle Empfehlung der STIKO gibt, sondern die Empfehlung auf spezifische Patienten gerichtet ist, die ein erhöhtes Risiko tragen. Sie sollte man impfen und ansonsten kann man es auf der freiwilligen Basis machen. Das ist schon okay.
Wie können sich Eltern nun orientieren in einer für Laien so schwierigen Situation? Viele verstehen die Nichtempfehlung als Abraten, was es aber auch nicht ist. Wenn Eltern auf Sie zukommen, wie beraten Sie die?
Proquitté: Ich glaube, wenn ein Krankheitsbild des Patienten oder des Kindes eine Impfung rechtfertigt, dann gibt es keine Diskussion. Dann kann man sagen, es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit zu empfehlen, es ist gut verträglich. Für alle anderen kann man nur wiedergeben, was es für Jugendliche oder junge Erwachsene zwischen 16 und 21 Jahren an Erkenntnissen gibt: Dass es gut verträglich ist und die Effektivität sehr hoch ist.
Bei vielen gibt es auch noch Skepsis gegenüber dem mRNA-Impfstoff.
Proquitté: Nach bisherigem Wissensstand muss man vor diesem Impfstoff keine Angst haben. Der Stoff, auch weil er in sogenannte Mizellen eingebettet ist, übergibt an den Körper nur die Informationen (Gen-Abschnitte - genauer eine Bauanleitung). Der Körper bildet nach dieser „Bauanleitung“ entsprechende Eiweiße, die typischen Oberflächenanteile (das Spike-Protein), gegen die er in der Folge Abwehrstoffe (Antikörper) entwickeln kann. Es geht also keine DNA in den Körper hinein. Es wird auch nichts von außen irgendwo „eingebaut“. Was der Impfstoff in den Körper hineingibt, ist nur ein kleiner Bestandteil an Information, der genutzt wird, um die gegenteiligen Antikörper zu bilden. Somit kann in der Folge sehr schnell über unsere Immunzellen eine Abwehr erfolgen.
Können Sie also unerwünschte Folgewirkungen ausschließen?
Proquitté: Wir sind keine Hellseher und können auch nicht alle medizinischen Probleme auf einmal lösen. Medizin ist immer ein Abwägen. Wenn ich eine Population habe, die ein hohes Risiko hat, krank zu werden bis hin zum Krankenhausaufenthalt mit Beatmung, dann ist eine Impfung mit einem möglichen kleinen Restrisiko gerechtfertigt. Wenn es aber ein kleines Kind ist, welches - wenn überhaupt – lediglich einen kleinen Schnupfen zu erwarten hat, dann ist es auch berechtigt, zu überlegen, ob man es impfen lassen will oder nicht. Ich bin durch und durch ein Impfbefürworter. Mit Blick auf die Schulen und Kindergärten aber, ist es aus meiner Sicht viel wichtiger, die Lehrer:innen und Erzieher:innen zu impfen. Ein wichtiger Punkt ist auch, dass wir das Thema mit einer wissenschaftlichen Verlaufskontrolle bei den Kindern verknüpfen. Wenn man 60.000 bzw. 80.000 Kinder impft, wäre es ideal, das auch wissenschaftlich zu untersuchen.
Der Impfstoff ist also nach jetzigem Wissen sicher. Was ist bei der Zulassung an Überprüfungen gelaufen, und kann man dem vertrauen?
Proquitté: Der Impfstoff hat mehrere Schritte in den entsprechenden Firmen durchlaufen, die grundlegend den Mechanismus untersucht haben – ob es wirksam ist. Dann geht es weiter, dass in wenigen Fällen in den ersten Testphasen einzelne Patienten nachuntersucht werden. Dann geht es in die nächste Phase, wo ein größerer Anteil an Probanden untersucht wird, die eine Impfung bekommen. Wenn da immer noch klar ist, dass es gut verträglich ist und kein Problem macht, dann geht es in die Phase der randomisierten Studie, wo eben unklar ist, ob ich als Proband ein echtes Medikament bekomme oder nur ein Placebo. Und auch dort laufen die ganzen Nachkontrollen. Da konnte das Effektivitätsniveau von weit über 90 bis 95 Prozent nachgewiesen werden. Es war in dieser Studie also davon auszugehen, dass von 100 geimpften Leuten eben nur 3 bis 4 überhaupt betroffen sind, und wenn, dann auch nicht so stark. Von daher war schon ein hohes Maß an Sicherheit da. Die Verlässlichkeit des Impfstoffs ist ein wichtiger Punkt.
Wie ist es mit der Herdenimmunität? Brauchen wir die Kinder oder nicht?
Proquitté: Das ist eine gute Frage. Betrachtet es man es auf die Gesamtbevölkerung bezogen, dann machen die Kinder viel aus, weil sie Teil des Gesamtkollektivs sind. Wenn wir zu einer Herdenimmunität kommen wollen, müssen wir sie irgendwie berücksichtigen. Aber nochmal, der Teil, der unter 12 ist und häufiger betroffen ist, ist überhaupt nicht integriert, denn er kann derzeit gar nicht geimpft werden. Es geht also um einen kleineren Anteil aus diesem gesamten Pool, der bis 18 Jahre geht. Für die jüngeren Kinder laufen die Studien erst an. Da kann man vielleicht in einem Jahr mehr sagen. Aber auch da gilt für mich, dass man erst einmal die Sicherheitsaspekte gut beleuchten muss, wie bei den Erwachsenen auch. Ich bin überzeugt, dass die STIKO sich anhand der zunehmend eingehenden Ergebnisse zu den Impfergebnissen an Kindern auch dahingehend äußern wird. Vielleicht wird es dann noch einmal eine andere Form der Empfehlung geben als jetzt.
Es ist also eine Momentaufnahme, vor der wir stehen. Es kann sein, dass ein Impfstoff auch für die jüngeren Jahrgänge zugelassen wird oder nicht. Die STIKO hat kein letztes Wort gesprochen, sondern aufgrund der aktuellen Datenlage entschieden.
Proquitté: Ja. Die STIKO ist immer ein lebendes Organ. Was heute gesagt wird, ist nicht auf ewig festgeschrieben, sondern es ändert sich anhand der aktuellen Lage an Information und an Datenverfügbarkeit und wird auch ständig angepasst.
Eltern können damit aber oft nicht gut umgehen.
Proquitté: Das ist richtig. Man kann sich eine Entscheidung aber durchaus zutrauen, auch als Laie. Ich halte es für gut, dass jeder mit seinen Kindern gemeinsam entscheiden darf. Die Sicherheit scheint nach aktuellem Stand hoch zu sein. Aber wie lange gibt es die Impfung? Und wie viel wissen wir schon? Und das ist eine Abwägung, die nicht von Seiten einer Rechtsstelle oder einer Medizinerstelle getroffen werden kann. Das muss jeder für sich entscheiden. Und die 12- bis 18-Jährigen haben ein Mitspracherecht, sie können selber mitentscheiden, können sagen: ich will oder ich will nicht. Das erfordert Aufklärung und Information. Nämlich: Der Impfstoff ist nach aktuellem Ermessen sicher. Aber für eine mittel- oder langfristige Aussage fehlen uns einfach noch die Daten. Und wenn man dieses Risiko tragen will, ist es wahrscheinlich vollkommen in Ordnung, sein Kind impfen zu lassen. Aber wenn man sagt, naja ich weiß nicht, dann ist es auch vollkommen in Ordnung, zu sagen: okay, dann nicht. Aber für sich selbst als Erwachsener fände ich es mehr als angebracht, sich impfen zu lassen sowohl aus persönlicher Sichtweise als auch für den gesamtgesellschaftlichen Ansatz.
Lassen Sie uns über Kinder sprechen und was die Pandemie mit ihnen macht. Wir hatten jetzt 15 Monate mit starken Einschränkungen für Kinder, und wir haben jetzt niedrige Inzidenzen, vieles ist wieder möglich. Und trotzdem geht jetzt auch – Stichwort Delta-Variante – die Debatte mit Blick auf Herbst sofort weiter. Wie sehen Sie als Mediziner auf diese Diskussion in Bezug auf Kinder und Jugendliche?
Proquitté: In der Pandemie haben ganz viele gelitten und viele Kinder sind durchs Raster gefallen – sei es in psychischer Richtung, weil sie einfach deprimiert waren, einsam waren. Das belastet ohne Zweifel. Kinder hatten – das als ein Beispiel –anderthalb Jahre keinen Schwimmunterricht. Daher könnte es jetzt wieder mehr Todesfälle im Zusammenhang mit Wasser geben. Wenn man das hochrechnet, bezogen auf die Kinder, dann muss man fast davon ausgehen, dass das Risiko wegen mangelnden Schwimmens zu versterben in dieser Population höher einzustufen ist, als durch COVID 19. Kinder also vom Unterricht fernzuhalten und als Treiber der Pandemie zu bezeichnen, ist falsch. Es geht um den Umgang der Gesellschaft insgesamt mit den Pandemiemaßnahmen. Ich kann vieles verstehen, wenn es um Freiheitsrechte und Einschränkungen geht. Ich kann aber ehrlicherweise nicht verstehen, wie einfache Maßnahmen wie das Maskentragen in geschlossenen Räumen so kritisch bewertet wird, dass man das unter dem Einschränkungsaspekt an Freiheit verknüpft. Es gibt genügend, auch schon vor der Pandemie, klare Angaben dazu, was solche Masken bringen und wozu sie gedacht und geeignet sind. Nun hat man in einem riesigen Versuchslabor weltweit festgestellt, welche Möglichkeiten solche Masken bieten. Da ist doch relativ klar von allen Seiten, sowohl aus der Aerosolforschung als auch von den Kinderärzten, den Immunologen, den Biologen, festgestellt worden, dass die Übertragung im Wesentlichen ein hohes Risiko darstellt in geschlossenen Räumen, ohne Maske. Jetzt gleich wieder alles abschaffen zu wollen, das ist daher für mich irrwitzig. Wir haben es jetzt mit vielen Maßnahmen geschafft, die Zahlen herunter zu drücken, einmal durch Impfung und durch die zuverlässige Haltung der Bevölkerung, sich diesen Dingen zu widmen. Das muss man wirklich loben. Das hat doch gut funktioniert. Wenn man sich anschaut, wie es in anderen Ländern läuft, dann kann man sagen: Wir haben es gut gemeistert. Nun alles auf den Müll zu werfen unter dem Aspekt der Freiheitsrechte, finde ich leider etwas übertrieben.
An Schulen gilt weiter Maskenpflicht. Als Bildungsministerium haben wir aber auch gesagt: Im Unterricht ist es ein Sonderfall. Dahinter stehen zwei Gedanken. Mit Maskenpflicht im Unterricht haben wir teilweise Kinder, die von morgens, wenn sie das Haus verlassen, in den Schulbus einsteigen, bis in den Nachmittag, wenn sie wieder nach Hause kommen, bis auf wenige Pausen, fast durchgängig Masken tragen. Noch wesentlicher aber ist, dass viele Pädagoginnen und Pädagogen die Maske als Hindernis für die pädagogische Arbeit empfinden. Deswegen haben wir derzeit dieses inzidenzabhängige Stufensystem: Maske im Schulgebäude als vorbeugender Infektionsschutz. Und je höher die Inzidenz steigt, desto stärker würde auch die Maske im Unterricht wieder denkbar. Sie kommt quasi obendrauf, wenn wir wieder besorgniserregende Entwicklungen haben.
Proquitté: Ja, das macht Sinn. Das hält eine gewisse Awareness aufrecht, dass es eben nicht vorbei ist. Das ist ein wichtiger Punkt. Wir müssen die Bevölkerung und auch die Kinder entlasten und ihnen auch wieder was bieten. Ich glaube, bei den Kindern kann man sich mehr erlauben, wenn man in der Lage ist, für sich selbst als Erwachsenen Vorsorge zu treffen. Diese Vorsorge treffen, das ist aktuell möglich. Bis zum Neubeginn des Schuljahres hat jeder die Möglichkeit gehabt, das umzusetzen. Das ist genau der Punkt: die Freiheit zu haben, das für mich zu entscheiden und zu sagen: Ich möchte mich impfen, dann bin ich immun, auch wenn in der Klasse mal drei Kinder positiv sein sollten.
Sollte es mit positiv getesteten Kindern einen anderen Umgang geben, wenn die Erwachsenen geimpft sind?
Proquitté: Da sollte man neu drüber nachdenken. Ob man gleich die ganze Schule schließen muss, wenn es einzelne Fälle gibt, das halte ich für sehr übertrieben. Der entscheidende Punkt wird die Impfung sein.
Es gibt ja Stimmen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sagen: Wer bis Herbst nicht geimpft ist, der wird es bekommen. Ist das eine falsche Alternative oder halten Sie das für ein realistisches Szenario?
Proquitté: Ja, es ist das richtige Denken, dass wir diese zwei Möglichkeiten haben – zu impfen, denn ich habe möglicherweise trotzdem Kontakt. Oder aber ich gehöre einer Population an, Kinder, die per se Corona bekommen können, aber in der Regel nur sehr, sehr selten stärker betroffen sind. Diese Abwägung muss jeder für sich treffen. Aber Eltern sollten sich auf jeden Fall impfen lassen, denn wenn die Kinder es mit nach Hause bringen, ist für sie das Risiko erhöht. Das Gleiche gilt für die Lehrer:innen und Erzieher:innen. Was die Kinder anbelangt, muss man schon dahingehend differenzieren, dass es eine Haltung geben kann, die sagt: Es ist okay, mein Kind kann das auch bekommen. Wichtig ist, dass das ganze Umfeld auch in der Lage sein muss, das auszuhalten. Sprich: mit entsprechenden Impfstoffen geschützt sein. Dann ist es auch kein Thema. Es darf nicht dazu kommen, dass Kinder, die nicht geimpft sind, außen vorgelassen werden. Das kann nicht sein.
Muss die Gesellschaft also mehr aushalten und vielleicht nicht sofort in die alten Bekämpfungsmuster verfallen, wenn wir an Schulen Coronafälle haben?
Proquitté: Genau. Denn ich gehe davon aus, wenn es so weitergeht, wie es sich momentan darstellt, dass bis Herbst alle Erwachsenen, die es wollten, die Möglichkeit hatten, sich impfen zu lassen. Das kann ich jedem, der in irgendeiner Form mit Kindern zu tun hat, oder ein fortgeschrittenes Alter hat, nur empfehlen. Wir sehen auch mit dieser Long-Covid-Variante, dass es eben Auswirkungen haben kann. Deswegen empfehle ich jedem Erwachsenen, sich impfen zu lassen. Bei den Kindern kann man kann es einfach noch nicht gut genug sagen, wie sich das langfristig auswirkt, deswegen muss es eine Option sein, wenn ich das will. Aber es kann keine Verpflichtung sein. Und wer es bis dahin nicht wahrgenommen hat, aus welchen Gründen auch immer, der muss halt davon ausgehen, dass beim Wiederanstieg der Inzidenzen er dann auch selbst infiziert werden kann. Das muss jeder für sich entscheiden.
Also wir werden mit Corona auch in Zukunft leben müssen?
Proquitté: Ja, auf jeden Fall. Wir werden zumindest die nächsten Jahre damit leben müssen. Noch ist es weder endemisch, noch hat sich unser Körper daran gewöhnt. Aber ich glaube schon, die Coronaviren werden wir nicht mehr los.

„Impfen halte ich für wichtig. Die Pandemie ist noch nicht vorbei.“
Helmut Holter, Thüringer Minister für Bildung, Jugend und Sport
Rede von Bildungsminister Helmut Holter zum Impfen von Kindern und Jugendlichen im Thüringer Landtag am 2. Juni 2021, bereinigte Lesefassung
Nach einem schwierigen Pandemie-Schuljahr sind wir nun in der Lage, dass aufgrund des verringerten Infektionsgeschehens immer mehr Thüringer Schulen und Kindergärten in den Regelbetrieb wechseln können. Ich freue mich, dass wir nun Schritt für Schritt in die Phase Grün gehen können. Denn wir alle haben in diesem einen Jahr erlebt, was die Pandemie bzw. die Maßnahmen gegen die Pandemie mit den Kindern machen.
In der Thüringer Zeitung „Freies Wort“ vom 1. Juni 2021 gab es eine Reportage, die die Probleme von Jugendlichen nochmal beschrieb: Was der Distanzunterricht und auch die Maßnahmen der Pandemie mit ihnen machen. Das war mir alles nicht neu, das können Sie mir glauben. In zahlreichen Briefen und Gesprächen wurde mir bereits davon berichtet. Aber das sind alles die Dinge, die zu den Erfahrungen der letzten 15 Monate dazugehören.
Und umso zuversichtlicher bin ich heute, dass sowohl für diese beiden Jugendlichen aus dem Landkreis Schmalkalden-Meiningen, über die in der Zeitung geschrieben wurde, als auch für Tausende anderer Schülerinnen und Schüler in Thüringen ein geregelter Schulbesuch nun endlich in greifbare Nähe rückt.
Impfen darf nicht Bedingung für den Schulbesuch sein.
Nun bereiten wir das nächste Schuljahr vor. Und ich sage es immer wieder: Impfen halte ich für wichtig! Es darf aber nicht Bedingung für den Schulbesuch sein. Da sind wir uns einig, das will ich nochmal betonen. Schauen wir nach Gera. Dort ist seit dem 1. Juni wieder der Regelbetrieb mit primärem Infektionsschutz möglich, thüringenweit die erste Kommune, die diesen Schritt gehen konnte. Weitere Kreise und Städte folgen. Sie alle verfolgen sicherlich die Entwicklung des Infektionsgeschehens in Ihren Regionen, deswegen kann ich hier auf eine Aufzählung verzichten.
Endlich können wir also nun in die Stufe Grün gehen, sie nicht nur in den Blick nehmen, sondern auch umsetzen, ob in den Schulen, Kindergärten, auch im Sport und auch in der Kinder- und Jugendarbeit. Das sind die Bereiche, die ich vertrete, und die neue Verordnung wurde in den beiden Ausschüssen Bildung und Gesundheit intensiv diskutiert. Damit ist klar, welche Regeln jetzt im Juni gelten. Und ich gehe davon aus, dass wir im Juli hoffentlich weitere Lockerungen auf den Weg bringen können, damit wir auch zu einer normalen Situation in unserem Alltagsleben, aber auch im beruflichen, auch im schulischen Leben kommen können. Das halte ich erstmal für eine sehr gute Nachricht.
Die Pandemie ist noch nicht vorbei.
Eines ist aber klar, die Pandemie ist noch nicht vorbei. Wir wissen nicht, was uns in den nächsten Wochen und Monaten konkret erwartet, schon gar nicht, was im Herbst sein wird. Deswegen bleibt es auch bei dem vorbeugenden Infektionsschutz. Weiterhin gilt in den Schulen eine Testpflicht. Es wird übrigens heiß diskutiert, ob es nun eine Testpflicht sein soll oder nicht sein soll, aber im Juni gilt Testpflicht und deswegen sind wir alle aufgefordert, auch durch unser Verhalten, auch Ihr Verhalten, dass Infektionen vermieden werden.
Kommen wir, meine Damen und Herren, zum Impfen konkret und zu dem Kinder-Impfgipfel, den wir organisiert haben. Wir haben als Landesregierung zu diesem Impfgipfel eingeladen, weil wir vorbereitet sein wollen für das Impfen von Kindern ab zwölf Jahren.
Wir haben alle zur Kenntnis genommen, dass die Europäische Arzneimittelagentur den Impfstoff für Kinder ab zwölf Jahre zugelassen hat. Was in Deutschland konkret passiert, wissen wir noch nicht. Ich bin jedoch bestürzt über so manche Debatte hier in der Bundesrepublik und auch ganz konkret in Thüringen, über das, was in sozialen Netzwerken, aber auch auf der Straße passiert, dass Menschen wieder mobilmachen und nicht unterscheiden können zwischen Fakt und Fiktion, zwischen wissenschaftlichem Meinungsstreit und Desinformation, zwischen Fake News und demokratischer Debatte. Das ist genau das, was dazu führt, dass die Menschen verwirrt werden, dass die Gesellschaft gespalten wird.
Das geht sogar so weit, dass in einem Wikipedia-Eintrag, der meine Person betrifft, jemand behauptet, dass ich einseitig für das Impfen werbe, und behauptet, ich würde manipulieren. Ich kann nur sagen, was dort bei Wikipedia steht: Das stimmt so nicht, das ist einfach falsch! Ich halte das auch nicht für eine kulturvolle Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit, um auch tatsächlich eine Stimmung, eine Grundstimmung für die Pandemiebekämpfung zu erreichen.
Was ich für richtig halte, das ist die Freiwilligkeit. Wir müssen gemeinsam die Freiwilligkeit des Impfens hochhalten, ob für Kinder oder eben auch für Erwachsene. Das ist ein hohes Gut.
Die beste Langzeitfolge des Impfens ist Gesundheit.
Der Umkehrschluss heißt doch aber nicht, liebe Eltern, liebe Jugendliche, lasst euch am besten nicht impfen. Freiwilligkeit setzt Einsicht und Verständnis voraus, dass das der richtige Weg ist. Deswegen ist es von mir klar gesagt worden: „Liebe Eltern, liebe Jugendlichen, lassen Sie sich bitte impfen!“ Impfen ist der beste Schutz. Und wenn es um Langzeitfolgen geht, glaube ich, da stimmen mir die Ärzte zu: Die beste Langzeitfolge des Impfens ist doch – Gesundheit. Das ist logisch, und das ist einfach. Es geht beim Impfen um gesunde Menschen und darum, sie zu schützen - die Kleinen und die Großen.
Und deswegen bitte ich Sie, lesen Sie Studien, setzen Sie sich damit auseinander. Nein, man muss nicht blind der Wissenschaft vertrauen. Ja, ich persönlich vertraue der Wissenschaft. Man muss auch hinterfragen, selbstverständlich. Aber ohne dieses Vertrauen wird es schwer, wenn nicht sogar unmöglich, die Pandemie zu besiegen.

Dieser Text ist für Leserinnen und Leser aufbereitet worden, die die Landtagsdebatte nicht verfolgt haben. Daher sind Bezüge und Verweise entfernt worden, die im Rahmen der Landtagsdebatte gefallen, zum Verständnis des Textes aber unerheblich sind. Zudem wurden zum besseren Verständnis und zur bessere Lesbarkeit einige Formulierungen präzisiert. Die Landtagsdebatte kann im YouTube-Kanal des Thüringer Landtages nachvollzogen werden.

Nun komme ich zur STIKO. Diese wird in den nächsten zehn Tagen eine Empfehlung geben.* Die hat noch keine Empfehlung abgegeben. Aber was sie konkret sagen wird, weiß niemand. Warten wir ab, was die ständige Impfkommission konkret empfehlen wird. Sie analysiert, wird Daten deutschlandweit und weltweit vergleichen und dann ihre Aussagen treffen.
Ich kann aber sagen, die STIKO, wenn sie eine Empfehlung ausspricht, dann ist es ihre unabhängige Entscheidung. Doch was folgt daraus? Daraus folgt, dass wir uns entscheiden müssen. Sowohl wir in der Politik als auch jede einzelne Familie muss sich entscheiden, welchen Weg sie geht. Und ich kann nur wiederholen, es geht um ein Impfangebot an die Kinder und Jugendlichen und ihre Familien. Ich denke, das Signal aus diesem Hohen Haus kann sein: Ja, liebe Familien, beredet die Sache, entscheidet euch bewusst für eine Impfung, um dann also auch dazu beizutragen, dass der Einzelne, die Familie, auch die Gesellschaft insgesamt, geschützt wird.
Empfiehlt die STIKO etwas nicht, ist es dann also auch nicht empfehlenswert? Nein. Das ist nicht die richtige Schlussfolgerung. Sondern die Schlussfolgerung ist, dass man sich mit diesem Angebot auseinandersetzt und diese Situation auch ganz konkret annimmt. Allen 12- bis 18-Jährigen sollte ein entsprechendes Impfangebot gemacht werden. Ich bin der Überzeugung, das ist der richtige Weg, dass wir bis Ende August genau dieses Impfangebot machen können.
Haben wir etwa vergessen, was in den vergangenen 15 Monaten passiert ist?
Ich stelle immer wieder fest, dass wir eine tagesaktuelle Diskussion führen, das ist ja auch richtig. Aber haben wir vergessen, wie lange uns zu hohe Infektionszahlen so dramatisch eingeschränkt haben? Thüringen war lange Zeit das Land mit der höchsten Inzidenz in Deutschland. Haben wir vergessen, wie die Überlastung der Kliniken aussah? Eigentlich sind wir geradeso daran vorbei geschrammt, auch wenn Patientinnen und Patienten verlegt werden mussten. Haben wir vergessen, wie viele Menschen an und mit Corona verstorben sind? Wie viel Sorgen und Nöte die Einschränkungen für Familien gebracht haben? Und haben wir vergessen, wie oft es hieß: Lasst die Schulen und die Kindergärten zu, denn die Kinder sind gefährlich.
* [Nachträgliche Anmerkung: Die aktuelle Empfehlung der Ständigen Impfkommission liegt inzwischen vor. Vgl. hierzu: https://bildung.thueringen.de/aktuell/thueringer-impfangebot-fuer-kinder-und-jugendliche-bleibt-bestehen]
Wir haben Gesundheitsschutz und Bildung genau abgewogen.
Kinder sind gefährlich – diese pauschale Aussage hat mich als Bildungsminister oft erschreckt. Und ich bin mir sicher, bei vielen Kindern ist diese Aussage auch genauso angekommen. Ihr seid gefährlich! Wir haben gemeinsam in der Landesregierung anders gehandelt. Wir haben uns darüber verständigt, und wir haben genau diese Maxime – Ihr seid gefährlich – nicht zu unserer Maxime gemacht.
Wir haben natürlich geschaut, wie sich das Infektionsgeschehen entwickelt. Wir haben beobachtet, wir haben abgewogen. Und auch die Landrätinnen und Landräte und Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister haben abgewogen: Was geht und was nicht geht? Ich bin nach wie vor der Überzeugung, es war richtig, dass wir zu regionalen Entscheidungen gekommen sind, als die Inzidenz über 150 lag. Die Bundesnotbremse hat dann dieses Verfahren beendet. Wir haben ein gutes Verfahren entwickelt, um zwischen Gesundheitsschutz und Bildung genau abzuwägen und um das alles unter einen Hut zu bringen.
Wir sollten jetzt wirklich alles dafür tun, damit Kinder und Jugendliche geimpft werden können. Das ist meine Überzeugung. Dafür trete ich ein. Alles andere ist für mich nicht akzeptabel.
Kinder und Jugendliche wissen, dass die Impfung der Weg aus der Pandemie ist. Dies zeigt die Cosmo-Studie der Uni Erfurt. Sie wissen, dass unter dem Damoklesschwert eines gefährlichen Virus, der dazu noch mutiert, kein verlässlicher Alltag zu organisieren ist. Sie wissen, dass wir als Gesellschaft zusammenhalten müssen und dass die eine Bevölkerungsgruppe die andere mit schützen muss.
Sie wissen, dass es Oma und Opa waren, die in Gefahr schwebten, dass es die Mama oder der Papa mit Vorerkrankung waren, die besonders gefährdet waren. Sie wissen, dass es auch manche ihrer Freundinnen und Freunde und ihre Schulkameradinnen und Schulkameraden treffen kann. Das ist zwar selten der Fall, aber auch dieses gibt es. Und sie wissen, dass es nur das Impfen ist, das die Wahrscheinlichkeit vor Ansteckung und vor schweren Krankheitsverläufen über einen längeren Zeitraum senkt.
Viele Kinder und Jugendliche wissen das.
Und trotzdem, ja, trotzdem muss aufgeklärt werden, muss beraten werden, um eine bewusste Entscheidung in den Familien treffen zu können.
Unsere Kinder haben ihren Beitrag geleistet. Nun ist es fair und gerecht, die Solidarität der Gesellschaft genau auf sie zu richten.
Unsere Kinder haben ihren Beitrag geleistet. Sie haben verzichtet. Sie haben verzichtet, um andere zu schützen. Sie haben entbehrt, sie haben Stress auf sich genommen, Einschnitte und haben auch Not erlebt. Und deswegen bin ich der Überzeugung, dass es jetzt nur fair und gerecht ist, dass die Solidarität der Gesellschaft genau auf diese Gruppe gerichtet wird, auf die Kinder und Jugendlichen.
Wer als Gesellschaft den Kindern und Jugendlichen das schnelle Impfangebot nicht geben möchte, der hat entweder kein Konzept, wie er die Pandemie bewältigen möchte, oder er nimmt billigend in Kauf, dass es in dieser Bevölkerungsgruppe still und heimlich zur Durchseuchung kommt, also zu einem völlig unkontrollierbaren Effekt.
Allein auf die Durchseuchung der Kinder zu setzen, ist keine Strategie.
Es ist meine feste Überzeugung, dass allein auf die Durchseuchung unserer Kinder zu setzen, keine tragfähige Strategie ist. Die Wissenschaft hat diesen Impfstoff entwickelt für die Kinder, und der Impfstoff für die Kleineren wird ebenfalls entwickelt. Und ich vertraue der Wissenschaft. Und deswegen glaube ich, ist es richtig, zu impfen, um das Virus auszutrocknen, es abzuschneiden von den Infektionsmöglichkeiten und damit auch von den Mutationsmöglichkeiten.
Meine Damen und Herren,
ich möchte abschließend zum Ausdruck bringen, dass ich mich als Bildungsminister zuvorderst immer für die Interessen der Kinder und Jugendlichen und ihr Recht auf Bildung eingesetzt habe. Aber es galt eben abzuwägen, welches Recht die Priorität hat – das Recht auf Gesundheitsschutz oder das Recht auf Bildung. Das ist es, was uns in den letzten 15 Monaten begleitet hat, was auch zu den Diskussionen geführt hat, die nachvollziehbar sind. Aber am Ende ging es darum, zu entscheiden.
Ich möchte nicht wieder in eine Situation kommen, dass der Schulbetrieb oder der Kindergartenbetrieb durch Virusmutationen beeinträchtigt wird, Schulen und Kindergärten wieder geschlossen werden müssen und dass möglicherweise Mutationen eine solche Wirkung auf die Kinder haben, dass sich das Virus rasant verbreitet und möglicherweise Kinder ernsthaft erkranken und mehr Kinder erkranken, als wir zurzeit statistisch feststellen müssen.
Das muss verhindert werden. Dazu brauchen wir den Impfschutz – freiwillig. Und deswegen brauchen wir auch eine Bundesregierung, die ihre Ankündigungen und Versprechen einhält. Denn wenn versprochen wird, dass es zusätzlichen Impfstoff gibt, dann muss es auch diesen zusätzlichen Impfstoff geben.
Wir haben den Impfgipfel durchgeführt, um uns vorzubereiten auf die Möglichkeit, dass sich Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren impfen lassen können. Das war eine gute Entscheidung. Wir stehen mit den Beteiligten in den Startlöchern. Wir können so verantwortungsbewusst agieren, in die Zukunft schauen, und wir können Kindern und Jugendlichen eine Aussicht geben. Eine optimistische Aussicht, dass Kindergarten, dass Schule, dass ihr Alltag in der Familie, in der Freizeit, im Sport, in der Musik, in der Kultur und sonstwo wieder gut funktionieren kann. Deswegen halte ich das Impfen für so wichtig, nicht nur wegen dem Schutz unter uns allen, sondern eben auch für eine gute Entwicklung der Kinder in Thüringen.
Herzlichen Dank meine Damen und Herren.